Vor einiger Zeit sah ich den Film „Mein Lehrer, der Krake“. Falls du ihn noch nicht gesehen hast, solltest du das unbedingt tun. Der Film zeigt über fast ein Jahr, wie sich eine Beziehung zwischen einem Kraken und einem Menschen aufbaut. Faszinierend. Beeindruckend. Unglaublich.
In einer Szene wird der Oktopus von einem Hai angegriffen. Der Krake kämpft um sein Leben und fährt alles auf, was er zu bieten hat. Verändert sein Erscheinungsbild und seine Farben. Tarnt sich hinter Blättern und Muscheln. Kurzfristig sitzt er sogar auf dem Rücken des Haies und hält sich dort so lange fest, bis er in einen sicheren Spalt entfliehen kann. Mit all diesen kreativen Tricks schafft es der Oktopus tatsächlich dem Hai zu entkommen.
Am nächsten Tag hatte ich ein Coaching und hörte mir die Klagen meiner Kundin an. Welche Probleme sie doch hat, dass sie nicht weiß, wie sie mehr Geld verdienen kann, dass sie mehr in ihrem Business tun sollte, sich aber nicht aufraffen kann. Was ist bloß los mit ihr? Sie weiß nicht, was sie tun soll.
Es war nicht das erste Mal, dass ich von ihr diese immer gleichen Gedanken hörte. Nur ganz gleich, welche Problemlösungen wir angehen, diese Wiederholungen ändern sich nicht.
Plötzlich entfuhr mir die Frage: Wie verzweifelt bist du?
Mit aufgerissenen Augen sah sie mich an und antwortete wie aus der Pistole: „Sehr verzweifelt!“
„Wirklich?“, fragte ich.
Und erzählte ihr von dem Film. Wie verzweifelt der Oktopus um sein Leben gekämpft hat. Welche kreativen Methoden und Tricks er angewendet hat, um mit seinem Leben davonzukommen. Er hat alles versucht, was ihm in den Sinn kam.
Der Oktopus ist nicht dagesessen und hat überlegt, ob er sich jetzt auf den Rücken des Haies setzen kann und darf. Er hat es einfach getan. Diese Finte hätte ihm sein Leben kosten können, aber er hat es trotzdem versucht.
Wenn bei uns ein Feuer ausbricht, dann sitzen wir auch nicht da und fragen uns, was wir tun sollen, können und dürfen. Wir werden alles versuchen, um das Feuer zu löschen. Wir werden einen Versuch unternehmen, hilft der nichts, überlegen wir uns etwas Neues. Und zwar so lange, bis wir das Feuer gelöscht haben, uns Hilfe zur Seite steht oder uns die Kraft ausgeht. Aber niemals nie, setzen wir uns irgendwo hin und denken darüber nach, was wir tun sollen.
Dann gibt es jene Probleme, über die wir nachdenken. Und nachdenken. Und noch mehr nachdenken. Wir wachen in der Nacht auf … und denken darüber nach. Wir sitzen mit Freunden bei einem gemütlichen Essen … und denken darüber nach. Wir sitzen am schönsten Sandstrand … und denken darüber nach.
Nur weil wir ständig über ein Problem nachdenken, heißt es nicht, dass wir tatsächlich ein Problem haben. Es heißt nur, dass wir über ein Problem nachdenken.
Erkennst du den Unterschied?
Tatsächliche Probleme vs. Gedanken-Probleme
Vermutlich kaust du an einem dieser oder einem ähnlichen Problem immer und immer wieder herum, ohne wirklich eine Lösung zu finden. Und solltest du mal eine finden, taucht das Problem in neuer Verpackung gleich wieder auf. Eben wie eine Wunderkerze.
Vor ein paar Jahren habe ich ein großes Projekt geleitet. Einer meiner Teamleiter war das beste Beispiel dafür, wie unser Verstand arbeitet. Immer wieder tauchte er mit einem neuen Problem auf. Also setzten wir uns hin und versuchten eine Lösung zu finden. Jeder Lösungsansatz wurde sofort mit einem, „ja, aber …“ quittiert. Und sollten wir tatsächlich eine Lösung für dieses eine Problem gefunden haben … tauchte im nächsten Atemzug sofort das nächste auf.
Der Unterschied ist, dass es „tatsächliche“ Probleme gibt und „Gedanken-Probleme“. Brennt das Essen an, ziehen wir den Topf von der Flamme. Regnet es beim Dach hinein, rufen wir den Dachdecker. Haben wir uns geschnitten und bluten heftig, legen wir einen Verband an.
Für all diese tatsächlichen Probleme gibt es tatsächliche Lösungen.
Für Gedanken-Probleme gibt es nur Gedanken-Lösungen. Nur diese gedanklichen Lösungen lösen selten das Problem.
Warum?
Weil ein gedankliches Problem mehr einer Wunderkerze gleicht als einem echten Feuer. Kennst du eine Wunderkerze? Jedes Mal, wenn du sie ausbläst, beginnt sie wieder von Neuem zu brennen. Ein Hit auf jedem Kinder-Geburtstag.
Nur warum ist das so?
Um das zu klären, müssen wir ein wenig besser verstehen, wie unser Verstand funktioniert.
Unser Verstand liebt es, Probleme zu lösen. Das ist seine Natur, das ist sein Job. Es will uns beschützen und ist somit die ganze Zeit auf der Suche nach etwas, was nicht in Ordnung ist.
Du hast nicht genug Geld – du wirst irgendwann unter der Brücke landen. Dagegen müssen wir was tun. Also lass uns nachdenken.
Du bist viel zu chaotisch – wenn du so weiter machst, bekommst du dein Leben niemals in Griff. Was tun wir dagegen?
Du hast in paar Tagen einen wichtigen Termin – du hast noch nie gut vor Menschen reden können. Wie ändern wir das?
Der Verstand ist auf Problem-Suche und nicht auf Lösungs-Suche
Vermutlich kaust du an einem dieser oder einem ähnlichen Problem immer und immer wieder herum, ohne wirklich eine Lösung zu finden. Und solltest du mal eine finden, taucht das Problem in neuer Verpackung gleich wieder auf. Eben wie eine Wunderkerze.
Vor ein paar Jahren habe ich ein großes Projekt geleitet. Einer meiner Teamleiter war ein Paradebeispiel dafür, wie unser Verstand funktioniert. Immer wieder tauchte er mit einem neuen Problem auf. Also setzten wir uns hin und versuchten eine Lösung zu finden. Jeder Lösungsansatz wurde sofort mit einem, „ja, aber …“ quittiert. Und sollten wir tatsächlich eine Lösung für dieses eine Problem gefunden haben … tauchte im nächsten Atemzug sofort das nächste auf.
Genauso arbeitet unser Verstand. Er ist nicht auf Lösungs-Suche, sondern auf Problem-Suche. Löst sich ein Problem, taucht das nächste auf. Das tut mein Verstand, das tut dein Verstand, das tut jeder Verstand.
Es ist eine Gewohnheit. Manchmal sogar eine Sucht. Der Verstand ist süchtig danach Problem zu wälzen und diese zu dramatisieren. Ein Gedanken-Problem wird von unserem Verstand erzeugt. Es besteht nur, wenn wir denken, dass wir ein Problem haben.
Das Feuer brennt, ganz gleich, ob wir daran denken oder daran glauben. Die Vorstellung, dass wir in Zukunft unter der Brücke leben werden, besteht nur in unseren Gedanken. Denken und glauben wir nicht daran, gibt es dieses Problem nicht.
Vertrau dir und nicht deinem Verstand
Der Verstand braucht Gedanken-Probleme.
Du aber nicht!
Heißt das, wir brauchen über kein Problem mehr nachzudenken?
Ja, eigentlich heißt es das. Worauf dein Verstand vermutlich sofort mit einem lautem „das geht doch nicht!“ antworten wird. Natürlich geht das für deinen Verstand nicht, denn damit würden wir ihm eine notwendige Daseinsberechtigung entziehen.
Du aber weißt ganz genau, was in einer schwierigen Situation zu tun ist. Wenn du vor einem Problem stehst, das jetzt wirklich eine Lösung braucht, wirst du tun und nicht darüber nachdenken.
Du hast es immer schon gewusst und wirst es immer wissen. Darauf kannst du vertrauen.
Wenn du tatsächlich verzweifelt nach einer Lösung suchst, dann bist du für jede kleine, vielleicht auch absurde Lösung dankbar. Du wirst so lange nicht ruhen, bis dein Problem gelöst ist. So wie der Krake, der so verzweifelt war, dass er sich sogar auf den Rücken seines Angreifers hockte.
Sobald du dich aber dabei ertappst, dass in dir Lösungen zwar auftauchen oder dir sogar andere Personen Lösungen anbieten, du aber jede von dir weist – dann sollte das für dich ein Alarm-Zeichen sein.
Aber keines, dass dir anzeigt, dass für dich sowieso alles verloren ist. Sondern, dass dein Verstand mit dir gerade Katz und Maus spielt und sich auf Problem-Suche befindet und nicht auf Lösungs-Suche.