Mein letzter Blog-Artikel, „Was weiß die Intuition über Business?“, hat einiges an Resonanz hervorgerufen. Sehr viele Menschen haben sich darin wieder gefunden und auch schon für sich herausgefunden, dass Business um einiges leichter geht, wenn wir unserer inneren Weisheit mehr Raum geben.
Aber es gab auch kritischere Stimmen und Gedanken. Unter anderem dieses Feedback: „Letztens habe ich in einem Projekt meiner Intuition vertraut und bin komplett gescheitert.“
Ich kann dieses Feedback so gut verstehen. Als ich mich dazu entschlossen hatte, meiner Intuition mehr zu vertrauen, habe ich mir natürlich erhofft, dass sie mir immer den „richtigen“ Weg zeigen würde. Und richtiger Weg bedeutete für mich, kein Scheitern, keine Fehler, keine Misserfolge mehr. Sondern direttissima zum Ziel.
Natürlich, denn warum sollte ich meiner Intuition sonst vertrauen?
Im Laufe der Zeit hat sich meine Sicht auf die Intuition gewandelt. Ich habe besser verstanden, was sie ist. Und was sie nicht ist.
Inhalte
- Intuition ist keine Zukunfts-Vorhersage-Maschine
- Unsere Vorstellung ist beschränkt
- Scheitern ist Ansichts-Sache
- Erfolg ist … Den Weg mehr zu lieben als das Ziel
- Was ist das Ziel?
Keine Zukunfts-Vorhersage-Maschine
Wenn wir ein Projekt beginnen, ganz gleich, wie groß es ist, wollen wir sichergehen, dass es erfolgreich wird. Wir haben genaue Vorstellungen davon, wie das Ergebnis aussehen soll und um das zu erreichen, arbeiten wir meist mit Plänen.
Jetzt haben wir alle schon mal erlebt, dass das manchmal funktioniert und manchmal nicht. Die Chancen, eine Punkt-Landung zu erreichen, liegen bei 50:50. Nur hätten wir gerne Sicherheit. Wir wollen nicht etwas beginnen und dann scheitern.
Irgendwann hören wir von der inneren Weisheit in uns und denken „Ah, ‚wenn wir darauf vertrauen, wird alles gut und wir erreichen endlich all unsere Ziele.‘
Dann das böse Erwachen. Schon wieder am Ziel vorbeigeschrammt. „Na ja, so intelligent kann die Weisheit wohl nicht sein, wenn wir nicht einmal damit unsere Ziele erreichen.“, denken wir und lassen das mit dem Vertrauen wieder.
Aber unsere Intuition ist keine Zukunfts-Vorhersage-Maschine (übrigens der Plan auch nicht.) Sie ist vielmehr eine Von-Moment-zu-Moment-Intelligenz. Sie sagt uns, was der nächste Schritt ist, sie passt sich an die aktuellen Umstände an und hält uns wach und flexibel.
Wir reagieren dann nicht nach Plan, sondern agieren in der Welt. Die Intuition schickt uns frische Ideen, wenn wir sie benötigen. Sie lässt uns neue Wege einschlagen, wenn diese Erfolg versprechender sind und sie überhäuft uns mit Kreativität, mit der wir jedes Problem zielgerichteter lösen.
Unsere Vorstellung ist beschränkt
Der Konflikt entsteht nicht dadurch, dass sich die Intuition geirrt hat. Sie entsteht dadurch, dass wir so klare Vorstellungen davon haben, wie das Endergebnis aussehen soll.
Ich weiß, dass wir gelernt haben, wir sollen SMARTE-Ziele erstellen. Je besser unsere Vorstellung des Endergebnisses ist, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass wir es auch erreichen.
Aber leider ist das nicht wahr. Denn unsere „Vorstellung“ ist beschränkt. Sie nimmt Informationen aus der Vergangenheit und projiziert sie in die Zukunft. Lebten wir in einer stabilen, geradlinigen Welt, dann würde so eine Prophezeiung vielleicht sogar Sinn ergeben. Aber das tun wir nicht. Wir sind umgeben von Leben und das ist in stetigem Wandel.
Wir selbst denken heute so und morgen anders. Täglich lernen wir Neues dazu. Die Informationen, die wir gestern hatten, sind morgen alt. Wir sind von Menschen umgeben, deren Aktionen und Reaktionen wir nicht vorhersehen können.
Halten wir an unseren Vorstellungen fest, dann schränken wir uns selbst ein. Wir schöpfen nicht die Möglichkeiten aus, die uns am Weg begegnen, sondern wollen eigentlich nur ein Ergebnis aus der Vergangenheit wiederholen.
Unsere Intuition geht jedoch über unsere Vorstellung hinaus. Sie will nicht wiederholen, was es bereits gab. Sondern sie will uns mit dem besten Resultat beschenken, das jetzt für uns möglich ist. Und das ist meist etwas anderes, meist besser, größer und schöner, als wir es uns mit unserem begrenzten Verstand vorstellen können.
Scheitern ist Ansichts-Sache
Erreichen wir unsere Vorstellungen nicht, dann sind wir gescheitert. Zumindest denken wir das.
Nur woher wissen wir das?
Alan Watts sagte einmal: „Die Dinge sind, wie sie sind. Wenn wir nachts ins Universum blicken, vergleichen wir nicht zwischen richtigen und falschen Sternen oder zwischen gut und schlecht angeordneten Konstellationen.“
Ich bin in meinem Leben schon oft „gescheitert“. Viele meiner Ziele und Vorstellungen habe ich nicht erreicht. So oft habe ich etwas „Falsches“ getan oder das „Falsche“ erreicht.
Ich bin von Ziel zu Ziel gerast. Eines erreicht (oder auch verfehlt) und weiter gings zum Nächsten. Das Tun selbst war mir nicht wichtig, es war ein notwendiges Übel. Das Einzige, was ich im Blick hatte, war das End-Ergebnis.
Seit ich meiner Intuition zu 100 % vertraue, scheitere ich nicht mehr.
Warum? Weil sich meine Sichtweise verändert habe. Ich klebe nicht mehr am End-Ergebnis fest, sondern mir ist der Weg dorthin wichtiger geworden. Ich habe mein Ziel erreicht, wenn ich Freude am Tun habe.
Heute probiere ich aus. Ich erhalte von meiner Intuition eine frische Idee und ich versuche diese in die Welt zu bringen.
Da mir das Ergebnis mittlerweile egal ist, ich stattdessen unglaubliche Freude am Kreieren und Erschaffen habe, gibt es kein Scheitern mehr. Manche Idee gehen auf und manche nicht. Das ist aber kein Maßstab mehr für mich. Ich bringe so viel Begeisterung in meine Arbeit, dass mir das bereits reicht. Mein Tun fühlt sich lebendiger und inspirierender an.
Erfolg ist … Den Weg mehr zu lieben als das Ziel
Als ich mich im Jahr 2021 auf den Jakobsweg begab, war mein Ziel klar: Ich wollte von Porto nach Santiago de Compostela. Ich machte mir bereits zu Hause einen ungefähren Plan, an welchem Tag ich wie weit gehen würde.
Die ersten fünf Tage waren eine Qual. Das lag nicht allein daran, dass ich das viele Gehen nicht gewohnt war. Mein Körper schaffte das.
Es lag daran, dass ich mich gehetzt fühlte. In meinem Kopf war stets das nächste Hotel, die nächste Unterkunft präsent, welche ich heute noch erreichen wollte. Ich war nicht am Weg angekommen und genoss diesen, sondern hatte das Gefühl, nur von einem Bett zum nächsten zu wandern.
Nach diesen ersten fünf Tagen, in denen ich regelmäßig ans Aufhören dachte, legte ich eine Pause ein. Ich wollte mich von dem selbst auferlegten Druck befreien.
Nach zwei Tagen Ruhe ging ich wieder los und mein Erleben war ein komplett anderes. Immer noch hatte ich Santiago als Ziel, aber wie und wann ich es erreichen würde, überließ ich dem Leben. Manchmal schaffte ich längere Tages-Etappen, manchmal kürzere. Dann fand ich eine Abkürzung, dann verlief ich mich für 4 Stunden im Wald. Aber ganz gleich, wo ich am Ende des Tages landete, jeder einzelne Schritt dorthin, war ein wunderbares Erlebnis.
Als ich dann in Santiago de Compostela ankam, war das nur noch eine Zugabe. Ich hatte schon so viel erlebt und so viele wunderbare Menschen kennengelernt, dass das Ankommen selbst nur noch ein weiteres spannendes Erlebnis war.
Anstatt mich auf einen einzigen Ort und ein einziges Ereignis zu konzentrieren – nämlich das Ankommen in Santiago – hatte ich plötzlich über 200 km Freude mit kleineren und größeren Erfolgserlebnissen zu verzeichnen. Wäre ich nicht angekommen, hätte es meiner Reise keinen Abbruch getan und ich hätte nicht das Gefühl des Scheiterns gehabt.
Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen.
Johann Wolfgang von Goethe
Was ist das Ziel?
Obwohl ich meine Planung komplett außer Acht ließ und mich auf meine innere Stimme verließ, kam ich in Santiago früher an als geplant.
Das ist etwas, was ich auch erst lernen musste. Wir müssen das End-Ergebnis loslassen, dann erreichen wir es, oft leichter und besser als mit strikter Planung.
Das ist das Paradoxe. Es reicht, wenn wir eine ungefähre Vorstellung davon haben, wohin wir wollen. (Die Betonung liegt hier wirklich auf „ungefähre“). Dann geben wir die Hände vom Steuer und lassen uns von unserer Intuition führen. Wie wir nämlich ans Ziel kommen und wann, das kann uns egal sein. Meist haben wir nicht einmal Einfluss darauf.
Mir ist klar, dass bei dieser Aussage viele Betriebswirt:innen die Hände über den Kopf zusammenschlagen. Ich hätte es vor 5 Jahren auch getan. Wir können doch nicht ziellos durch die Gegend irren. Als Unternehmer:innen schon gar nicht.
Da gebe ich auch allen recht. Die Frage ist nur, was ist das Ziel? Ist das Ziel meine eigenen begrenzten Vorstellungen und ganz viele Zahlen auf einem weißen Blatt Papier zu erreichen? Ist es erstrebenswert, die Vergangenheit immer wieder in der Zukunft zu reproduzieren?
Oder ist das Ziel zu wachsen, zu lernen und Neues zu erleben? Ist das Ziel Freude und Begeisterung bei unserem Tun zu erlangen? Die eigene Kreativität und Inspiration in die Welt zu bringen und damit andere Menschen zu erfreuen, ihnen zu helfen und sie zu unterstützen?
Natürlich können wir versuchen, ein Leben und auch ein Business komplett nach unseren engen Vorstellungen zu führen.
Oder aber wir öffnen uns dem Leben, lassen uns von ihm überraschen und schwimmen mit ihm mit.
Und erreichen auf diese Weise so viel mehr, als wir uns jemals hätten vorstellen können.
So schön! Ja, sobald ich ein Ziel anvisiere, wird es „eng“, wenn ich es loslasse, wird es weit.
Ja, das ist so faszinierend.
Und dann darf was Spannendes, Neues kommen, wie herrlich.
Freue mich, dass du es für dich erkannt hast🧡.
Alles Liebe
Silvia