Der Begriff „Hidden Agenda“ begegnete mir das erste Mal, als ich vor vielen Jahren an einem Umstrukturierungsprojekt in einem großen Konzern arbeitete. Dort wurde eine neue Software implementiert, welche schlankere und schnellere Prozesse im Unternehmen ermöglichen sollte. Die Geschäftsführung hatte aber ein ganz anderes Ziel. Nicht die Prozesse sollten schlanker werden, sondern das Unternehmen. Was Mitarbeiter*innen Abbau bedeutete.
Nur wurde das so nicht kommuniziert. Für das Projekt selbst war das von Anfang an eine unüberwindbare Hürde. Denn während das Projekt-Team an der Verbesserung der Technologie arbeitete – den so lautete ihr Auftrag – zogen die Geschäftsführer im Hintergrund an ganz anderen Fäden. Die Anpassung an ein neues technologisches Zeitalter war nur Mittel zum Zweck für das eigentliche Ziel.
Hidden Agenda bedeutet: ein geheimes, verdecktes Motiv für etwas. Das Unternehmen beauftragte eine Software-Umstellung mit dem (kommunizierten) Motiv, die Abläufe im Unternehmen zu vereinfachen. Das versteckte (und eigentliche) Ziel war Mitarbeiter*innen-Abbau.
Dass das Projekt zum Scheitern verurteilt war, versteht sich von selbst. Wenn Menschen in unterschiedliche Richtungen gehen, kommen sie nicht gemeinsam ans Ziel.
Solche verdeckten Motive gibt es aber nicht nur in großen Unternehmen mit vielen Personen. Nein, die findet in jedem Unternehmen statt, auch wenn es sich um ein Einzelunternehmen handelt.
Jetzt könnte man sich fragen: Ja, wie soll es denn da eine Hidden-Agenda geben, wenn ich allein arbeite. Ich weiß ja, was ich will und handle dann danach?
Stimmt das allerdings tatsächlich?
Äußere und innere Ziele
Wir sind Menschen und das allein trägt schon dazu bei, dass wir die ganze Zeit mit einer Hidden Agenda herumlaufen. Denn das, was wir nach außen hin kommunizieren, stimmt oft mit unserer tiefsten Absicht, mit dem, was wir tatsächlich wollen, mit unseren inneren Zielen, nicht überein.
Richard David Precht schrieb das Buch „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ Wir Menschen sind vielschichtige Wesen. Wir führen Selbstgespräche, diskutieren, ja streiten sogar manchmal mit uns selbst. Ich bin mir sicher, dass auch du von diesen inneren Dialogen nicht verschont bleibst. Da kann schon der Gedanke aufkommen, dass sich in uns mehrere Personen vereinen, die ganz unterschiedliche Motivationen und Wünsche haben. Und in unterschiedliche Richtungen ziehen.
Viele meiner Kund*innen beklagen sich, dass sie nicht das tun, was sie eigentlich geplant hatten. Sie erstellen eine To-do-Liste und tun dann doch was ganz anderes. Die Folge sind meist pathologische Zuschreibungen: Sie leiden unter Aufschieberitis. Oder sind zu chaotisch. Zu unorganisiert oder zu faul. Das führt zu Stress, Druck, Ängsten und Selbstzweifel.
Die Antwort auf die Frage „Warum tue ich nicht, was ich eigentlich tun sollte/müsste“ ist aber nicht mit noch mehr Planung, noch mehr Anstrengung oder noch mehr Disziplin zu beantworten.
Sondern damit, dass wir erkennen, dass wir innere und äußere Ziele haben und diese aufeinander abgestimmt werden sollten.
Erarbeiten sich Unternehmer*innen eine Strategie für ihr Business, dann stecken sie sich zumeist Ziele im Außen. Also zum Beispiel: Am Ende des Jahres möchte ich X Umsatz haben. Oder in diesem Programm möchte ich Y Teilnehmer*innen haben. Oder um mehr Kund*innen zu bekommen, benötige ich Z Abonnenten. Für dieses Ziel wird eine Strategie erarbeitet, wie sie das erreichen können.
Und dann passieren meist 3 Dinge:
- Es wird wie wild auf dieses Ziel hingearbeitet, es wird aber nicht erreicht, was große Frustration und Selbstzweifel auslöst.
- Das Ziel wird erreicht, die Freude hält aber nur kurz, sofort wird das nächste, noch größere Ziel angestrebt.
- Das angestrebte Ziel wird rasch aus den Augen verloren, man tut ganz andere Dinge, als man sich eigentlich vorgenommen hat. Was Stress und auch wieder Selbstzweifel auslöst.
Nur warum erreichen wir die angestrebten Ziele nicht?
Hidden Agenda
Und jetzt kommt die Hidden Agenda ins Spiel. Denn auch wenn wir scheinbar äußere Ziele anstreben: Mehr Geld, größeres Auto, schönerer Körper, bessere Beziehungen etc., wollen wir eigentlich etwas ganz anderes: Wir wollen uns gut fühlen. Uns sicher, aufgehoben, geliebt fühlen.
Die Automobil-Branche weiß um diese Tatsache Bescheid. BMW zum Beispiel verkauft nicht einfach ein Auto, sie werben mit „Freude am Fahren“. Fährst du also einen BMW, dann hast du scheinbar mehr Freude am Fahren als mit einem anderen Auto. Toyota sagt „Nichts ist unmöglich“, was vermutlich Fahrer*innen anzieht, die risikobereiter sind und gerne Grenzen ausloten. Der Slogan von Audi „Vorsprung durch Technik“, soll wahrscheinlich innovative und Technik-affine Menschen ansprechen.
Kund*innen kaufen keine Produkte oder Dienstleistungen (auch deine nicht), sondern sie wollen sich ein Gefühl erkaufen.
Und Unternehmer*innen wollen keine Ziele erreichen. Sondern auch sie wollen eigentlich ein Gefühl erlangen. Sie wollen sich sicher, kreativ, erfolgreich, anerkannt, wichtig, frei und vieles mehr, fühlen und glauben das mit X Umsatz, Y Kund*innen, Z Abonnent*innen zu erreichen.
Nur so funktionieren wir Menschen nicht. Nichts im Außen kann uns jemals irgendein inneres Gefühl bescheren. Weder ein gutes, noch ein schlechtes.
Es ist ein Trick unseres Verstandes, auf den wir immer wieder hereinfallen: Erreiche dies oder jenes, dann bist du erfolgreicher, beliebter, sicherer und … (was ist es bei dir?).
Der Verstand hält uns die Karotte vor die Nase
Allerdings ist das tatsächlich nur ein Trick. Es ist die Karotte, die uns unser Verstand vor die Nase und uns am Laufen hält. Es ist das berühmte Hamsterrad, in das wir einsteigen und so schwer wieder herauskommen.
Wenn Menschen ihr Unternehmen gründen, steht dahinter immer eine tiefere Absicht. Sie wollen die Welt ein klein wenig besser machen. Sie wollen anderen Menschen, der Umwelt oder den Tieren etwas Gutes tun. Menschen das Leben vereinfachen oder verschönern, die Umwelt schützen, Tiere retten. Vielleicht wollen sie aber auch kreativer und freier arbeiten, als sie es bisher konnten. Oder endlich das tun, was sie immer schon machen wollen.
Die tiefere Absicht, die Intention, die hinter einem Business steckt, ist so unterschiedlich, wie die Menschen, die sie gegründet haben. Aber genau diese Intention ist der Motivator, der Antrieb, der Motor, warum du das tust, was du tust. Warum du in der Früh aufstehst und weitermachst, auch wenn es mal schwierig wird.
Auch wenn diese Intention nie wirklich verschwindet, rückt sie in der Wahrnehmung und der Aufmerksamkeit oft in den Hintergrund und wird vom Streben nach äußeren Zielen überlagert. Es ist auch das, was in Management-Büchern und Business-Kursen gelehrt wird: Setze dir Ziele, smarte Ziele. Was willst du erreichen? Wo willst du hin? Gib dich nicht mit kleinen Dingen zufrieden, think big.
Und dann beginnt das Jagen. Ein Ziel nach dem anderen taucht auf und wird verfolgt. Waren es dieses Jahr 50.000 Umsatz, müssen es im nächsten 100.000 sein. Übernächstes Jahr 200.000 und die Million ist auch noch zu erreichen. Allerdings nur, wenn du dich genügend anstrengst.
Und schon haben wir sie, die Karotte vor der Nase. Mehr. Schneller. Höher. Und ganz gleich, was wir tun, es ist doch nie genug.
Was willst du wirklich?
Ich sage nicht einmal, dass Umsatz-Ziele schlecht sind. Es ist eine Zahlen-Spielerei, die wirklich viel Spaß machen kann.
Aber viel wichtiger als irgendeiner Zahl nachzujagen, ist zu wissen: Was willst du wirklich?
Wie willst du dich in deinem Business fühlen? Und kann dir X Umsatz dieses Gefühl tatsächlich bescheren? Auf Dauer?
Oder ist das Erreichen von äußeren Zielen nicht eher Mittel zum Zweck? Wenn du X Umsatz hast, dann kannst du dich erfolgreich fühlen. Wenn du Y Kund*innen hast, dann kannst du dich anerkannt fühlen. Wenn du Z Geld auf dem Konto hast, dann kannst du dich sicher fühlen.
Alles, was hinter „wenn“ steht, ist deine Karotte.
Alles, was hinter „dann“ steht, ist das Gefühl, das du damit erreichen möchtest.
Die Karotte führt ins Hamsterrad.
Das Gefühl führt zu innerer Ruhe und Zufriedenheit.
Auch wenn du selbstverständlich mit deinem Unternehmen Geld verdienen und Kund*innen anziehen möchtest, führt dieser Weg einzig und allein über deine tiefste Intention.
Bist du dir über deine Intention nicht im Klaren, entstehen innere Konflikte, Stress, Frustration und Selbstzweifel. Wie in dem Unternehmen, das ich am Anfang beschrieben habe, läufst auch du dann in zwei unterschiedliche Richtungen. Bist innerlich hin- und hergerissen und weißt gar nicht warum. Dein Verstand will äußere Ziele erreichen, tief in dir drinnen jedoch wünschst du dir etwas ganz anderes.
Diese innere Diskrepanz löst du damit auf, in dem du dir Klarheit darüber verschaffst, was du wirklich willst, was dir Freude bereitet, was du in der Welt bewirken möchtest, was deine Hidden Agenda ist. Richtest du danach deine Strategie aus, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass du deine Ziele erreichst. Und zwar deine inneren und auch äußeren.
Richard Branson, einer der erfolgreichsten Unternehmer unserer Zeit, sagte einmal: „Ein Tag ohne Absicht ist ein vergeudeter Tag. Ohne Intention gibt es keine Produktivität und damit auch keinen Erfolg.“
Was ist deine Intention?
Ein großartiger Beitrag, der das Problem und die Lösung perfekt auf den Punkt bringt. Ich wünsche ihm haufenweise Leser*innen. Vielen Dank dafür!
Liebe Gundula,
Danke vielmals! 🙏.
Das wünsche ich mir auch 🧡.
Alles Liebe
Silvia
Danke für diesen tollen Beitrag. Er hat mir mal wieder die Augen geöffnet und lässt mich anhalten und neu ausrichten.
Liebe Nicole,
das freut mich sehr! Stehen bleiben und neu orientieren ist eine wunderbare Strategie ❤️.
Alles Liebe
Silvia