Kreativität verloren? So findest du dein kreatives Potenzial wieder
Vera Birkenbihl sagte einmal in einem ihrer legendären Vorträge: „Wir Menschen kommen mit unendlichem Potenzial zur Welt. Dann passiert Erziehung, und das Potenzial wird zusammengeschnitten.“ Ein starker Satz, der viele von uns ins Nachdenken bringt – vielleicht auch dich. Wie oft hattest du das Gefühl, nicht wirklich kreativ zu sein? Oder nur in bestimmten Momenten? Vielleicht sehnst du dich sogar danach, wieder mehr in kreativen Ausdruck zu kommen.
Doch hier kommt die gute Nachricht: Dein kreatives Potenzial ist nicht verloren. Es ist immer noch da, tief in dir, wie ein unterirdischer Fluss, der zwar zugeschüttet wurde, aber weiterhin fließt. Michael Neill beschreibt in seinem Buch Creating the Impossible diesen Raum der Möglichkeiten als das „Big Nothing“ – einen Ort unendlicher Potenziale, der immer verfügbar ist, auch wenn wir den Zugang zeitweise verloren haben.
Fast alle Kinder sind kreativ, aber kaum ein Erwachsener glaubt noch an seine kreative Kraft.
Wo ist unsere Kreativität geblieben?
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 98 % der Fünfjährigen halten sich für kreativ. Bei den 10- bis 12-Jährigen sind es noch 50 %. Und bei Erwachsenen? Gerade mal 2 %. Diese dramatische Abnahme hat einen klaren Grund: Wir haben verlernt, uns im Nicht-Wissen wohlzufühlen.
Die Schule hat uns beigebracht, dass es für alles eine richtige Antwort gibt. Fehler waren unerwünscht, Nicht-Wissen wurde bestraft. So lernten wir, nur das zu sagen oder zu tun, von dem wir sicher waren, dass es „richtig“ ist. Das Ergebnis? Wir haben uns immer weiter vom freien kreativen Ausdruck entfernt.
Der Raum voller Möglichkeiten
Michael Neill unterscheidet in seinem Buch „Create the impossible“ zwischen dem „Big Nothing“ und dem „little nothing“. Das „little nothing“ steht für den übervollen Speicher unseres Alltagsverstands – voll von Sätzen wie: „Das geht nicht“, „Das macht man nicht so“, „Was denken die anderen?“. Es ist der Ort, an dem unsere natürliche Kreativität von Zweifeln, Bewertungen und inneren Glaubenssätzen überdeckt wird.
Doch magische Ideen entstehen niemals in diesem „little nothing“. Sie entspringen dem „Big Nothing“ – dem Raum unendlicher Möglichkeiten, den wir als Kinder noch so gut kannten. Damals konnte ein Karton ein Raumschiff sein, ein Stock ein Zauberstab, eine Decke eine Höhle. Alles war möglich, weil wir noch keine festen Vorstellungen davon hatten, wie die Dinge „sein sollten“.
Unser kreatives Potenzial bleibt immer bestehen, auch wenn es von Zweifeln oder Erziehung überlagert wurde.
Dein kreativer Ursprung ist nicht verloren
Der Zustand des „Big Nothing“ ist nie verschwunden. Er wurde nur überlagert von all den Gedanken, Überzeugungen und Mustern, die wir im Laufe unseres Lebens angesammelt haben. Wie eine klare Quelle, die von Laub und Ästen bedeckt wurde – aber immer noch sprudelt.
Kennst du diese Momente, in denen dir die besten Ideen kommen – unter der Dusche, beim Spazierengehen oder kurz vor dem Einschlafen? Das sind die Augenblicke, in denen unser geschäftig denkender Verstand („little nothing“) zur Ruhe kommt und wir wieder Zugang zum „Big Nothing“ bekommen. Dieser Zustand ist nicht „machbar“, aber wir können die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen.
Kreativität braucht Raum
Gerade in der modernen Businesswelt ist es eine Herausforderung, diesen Raum für Kreativität zu schaffen. Oft herrscht die Überzeugung, dass Kreativität „gemacht“ werden muss. Brainstormings, Kreativitätstechniken, Workshops – alles Methoden, die zwar sinnvoll sein können, aber oft den Fehler machen, Kreativität erzwingen zu wollen.
Das ist, als würdest du versuchen, eine Pflanze schneller wachsen zu lassen, indem du an ihr ziehst. Kreativität braucht etwas anderes: Sie braucht Raum. Raum, in dem noch nichts festgelegt ist. Raum, in dem wir den Druck loslassen, unbedingt kreativ sein zu müssen. Und vor allem Raum, in dem wir uns wieder mit diesem inneren Potenzial verbinden können.
Die zwei Ebenen der Schöpfung
Dieser Raum zeigt sich in zwei fundamental verschiedenen Ebenen:
- Die magische Ebene – formlos, mystisch, voller Möglichkeiten: Hier entstehen Ideen, Inspirationen und Visionen. Es ist ein Ort, der sich nicht greifen oder kontrollieren lässt. Hier brauchen wir Freiraum und Vertrauen.
- Die materielle Ebene – greifbar, strukturiert, sichtbar: Hier werden Ideen umgesetzt, Pläne geschmiedet und Ergebnisse erzielt. Sie gibt uns Sicherheit, weil sie klar und messbar ist.
Beide Ebenen sind wichtig, doch die Magie liegt in ihrer Verbindung. Eine Idee braucht den geschützten Raum der ersten Ebene, um sich zu entfalten, und die strukturierende Kraft der zweiten Ebene, um Wirklichkeit zu werden. Eine zu frühe Umsetzung kann den kreativen Fluss blockieren. Gleichzeitig verlieren Ideen, die nie umgesetzt werden, ihr Potenzial.
Ideen suchen uns, nicht umgekehrt
Wie gehen wir also mit Ideen um? Vielleicht ist dir das Bild eines scheuen Rehs bekannt. Eine gute Idee verhält sich oft ähnlich: Sie taucht kurz auf, zögert und verschwindet wieder, wenn wir sie sofort greifen wollen. Der sanfte Umgang mit Ideen ist eine Kunst, die Geduld und Vertrauen erfordert. Nicht jede Idee muss umgesetzt werden – und das ist vollkommen in Ordnung.
Elizabeth Gilbert beschreibt in ihrem Buch Big Magic, dass Ideen wie magische Wesen sind. Sie suchen uns aus, nicht umgekehrt. Wenn eine Idee wirklich für uns bestimmt ist, wird sie immer wieder auftauchen. Und wenn nicht? Dann war sie vielleicht einfach nur ein Impuls, ein „Blindgänger“, der nicht zündet – und das ist völlig okay.
Nicht-Wissen ist kein Mangel, sondern der Nährboden für neue Ideen.
Was kannst du tun, um kreativer zu sein?
Wenn du spürst, dass du wieder mehr Zugang zu deinem kreativen Potenzial haben möchtest, dann probiere folgende Ansätze:
- Schaffe Raum für Leerlauf: Lass Langeweile zu, gehe spazieren, mach eine Pause vom ständigen Konsum von Informationen. Kreativität entsteht oft in Momenten der Ruhe.
- Beruhige deinen Geist: Meditation, Atemübungen oder Journaling können helfen, das ständige Gedankenkarussell zu verlangsamen und Raum für neue Ideen zu schaffen.
- Gib der Idee Zeit: Lass Ideen reifen, bevor du sie in eine konkrete Form gießt. Skizziere sie, spiele mit ihnen, lass sie wachsen.
- Wertschätze das Nicht-Wissen: Erlaube dir, nicht sofort die perfekte Lösung zu haben. Im Nicht-Wissen liegt oft der größte kreative Schatz.
- Hab keine Angst vor Fehlern: Fehler sind ein natürlicher Bestandteil des kreativen Prozesses. Sie zeigen dir, was funktioniert und was nicht – und bringen dich oft auf neue Wege.
Fazit: Deine Quelle der Kreativität
Der Zugang zu deinem kreativen Potenzial ist nie verloren. Es mag manchmal überlagert sein von Zweifeln, Druck und der Überzeugung, dass Kreativität etwas ist, das man „machen“ muss. Doch in Wahrheit ist Kreativität dein natürlicher Zustand – wie eine sprudelnde Quelle, die nur darauf wartet, wieder freigelegt zu werden.
Erlaube dir, wieder in Kontakt mit dem „Big Nothing“ zu kommen. Es braucht keine großen Techniken oder Werkzeuge, nur die Bereitschaft, Raum zu schaffen, offen zu sein und darauf zu vertrauen, dass die besten Ideen genau dann kommen, wenn du sie nicht erzwingen willst. Vielleicht merkst du dann, dass du kreativer bist, als du dachtest – und zwar nicht nur in bestimmten Momenten, sondern immer.
Und jetzt die Frage an dich: Wann hast du dich das letzte Mal so richtig kreativ gefühlt? Teile es gerne in den Kommentaren!