Früher war für mich ein Leben im „Hier und jetzt“ Zeitverschwendung. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich wollte etwas erreichen, der aktuelle Zustand war nicht optimal, der wollte verbessert werden. Ich wollte mich nicht damit zufriedengeben, was ich hatte. Nein, ich wollte mehr, anders, besser. Also wozu sich damit aufhalten.
Hier und Jetzt war wie ein Stopp-Schild für mich. Wie wenn du beim Monopolyspiel die Gefängnis-Karte gezogen hast, du für 2 Runden aussetzen musstest und alle an dir vorbeiziehen. Oder wie, wenn du bei einem wichtigen Spiel auf der Ersatzbank sitzt, während die Hauptmannschaft in Aktion treten darf. Das wollte ich definitiv nicht. Ich wollte vorwärtskommen, etwas erreichen.
Was zur Folge hatte, dass ich durch das Leben raste. Ich war immer am Sprung, mit meinen Gedanken immer schon weit in der Zukunft. Was ich noch alles zu erledigen habe, was ich noch alles erreichen möchte, wo ich noch besser werden könnte oder müsste. Wie die Karotte, die einem Esel vor die Nase gehalten wird, damit er sich bewegt. Sichtbar, aber nicht erreichbar.
So kam es, wie es kommen musste. Mir ging irgendwann die Luft aus. Ich erkannte, dass an diesem „dort“ irgendwas faul war. Denn kaum hatte ich ein Ziel erreicht, tauchte schon das nächste auf. Das erhoffte Gefühl von „erreicht“ oder „angekommen“ stellte sich vielleicht kurzfristig ein, hielt aber nie sehr lange. Ich war erschöpft, wollte aus dem Hamsterrad aussteigen, wusste aber nicht wie. Auch hatte ich panische Angst, dass wenn ich stillhalten würde, ich nichts mehr erreichen würde, ich kapitulieren würde und sich mein Leben von diesem Moment an, an dem ich Ruhe gebe, nicht mehr weiterbewegen und weiterentwickeln würde.
Die Jagd nach einem guten Gefühl
Ich befand mich auf der Jagd nach Ergebnissen. Viel später erkannte ich jedoch, dass ich mich nicht auf der Jagd nach Ergebnissen befand, sondern danach, was diese Ergebnisse für mich tun sollten. Vor allem, welches Gefühl ich mir durch das Erzielen versprach.
Ich wollte mich zufrieden fühlen, mich in meiner Haut wohlfühlen. Also dachte ich, wenn ich den Abschluss, das Geld, die Beziehung, das Haus, das Auto, den Job hätte, dann würde ich mich wohler fühlen. Hätte mehr Sicherheit, weniger Ängste. Würde eben zufriedener mit mir und meinem Leben sein.
Diese Jagd nach Zielen und dem „dort“ ist in unserer Gesellschaft eine Massenbewegung. Niemand möchte hier sein, alle wollen woanders sein. Niemand ist zufrieden, mit dem, was ist, alle wollen besser, schöner, reicher, klüger oder sonst was sein. Und dieses Gefühl ist nicht hier, sondern muss erst erreicht werden.
Was dazu führt, dass wir in einer Mangel-Gesellschaft leben. Immer fehlt irgendwas. Ist Gesundheit da, fehlt Reichtum. Ist Reichtum da, fehlt Fitness. Ist Fitness da, fehlt Wissen. Oder das, was da ist, ist nicht genug. Nicht genug Geld, nicht genug fit, nicht genug schön, nicht genug Wissen.
Aber was, wenn das alles so nicht stimmt? Wenn es außer diesem Moment nichts anderes gibt? Und wenn diese ganze Jagd sinnlos ist und es einzig und allein darauf ankommt, womit wir diesen Moment füllen?
Ist dir schon einmal aufgefallen, was es in diesem einen Moment alles zu erleben gibt? Jetzt gerade fliegen meine Finger über die Tastatur, um diesen Text zu schreiben. Vor mir auf der Bank liegt unser Hund und kratzt sich hinter dem Ohr. Die Katze sitzt auf den Stufen und macht sich lautstark bemerkbar, dass sie jetzt sofort Futter braucht. Draußen bläst der Wind, der einige Stühle zum Wackeln bringt. Ein Vogel landet auf dem Zaun und schaut sich nach Nahrung für den Winter um. Vor mir steht eine Tasse mit Kaffee, der leider nicht mehr duftet, weil das braune Gebräu schon kalt ist. In mir taucht ein leichtes Hungergefühl auf, ein erstes Zeichen, dass ich langsam über das Mittagessen nachdenken soll. Auch tauchen immer wieder neue Gedanken auf. Wie es meinem Mann geht, der gerade mit einer heftigen Verkühlung in Amsterdam sitzt. Aber auch der Gedanke, was ich noch alles zu erledigen habe.
Das alles und noch so viel mehr passiert in einem einzigen Moment.
Nur nehmen wir es nicht wahr. Wir sind damit beschäftigt mit unseren Gedanken durch Raum und Zeit zu reisen und schenken dem, was rund um uns herum passiert, keine Aufmerksamkeit.
Blick auf Fülle oder auf Mangel
Nur Reichtum, Zufriedenheit, Erfolg liegen nicht „dort“. Sie liegen hier in diesem Moment. Sie liegen in dir. Nicht irgendwo da draußen oder irgendwo in der Zukunft.
Solange wir uns mit der Jagd beschäftigen, werden wir, was immer wir uns wünschen, nicht erreichen. Sehen wir jetzt nicht, was wir alles haben und alles sind, dann sehen wir es morgen auch nicht.
Es gibt nichts anderes, außer diesen einen Moment. Was sollte es auch sonst geben? Arbeitest du an einem Projekt, dann tust du das im Moment. Grübelst du über die Zukunft nach, tust du das in diesem Moment. Hast du ein schlechtes Gefühl wegen einem Ereignis in der Vergangenheit, dann passiert das in diesem Moment. Vergangenheit und Zukunft tauchen in diesem Moment in dir auf. Alles, was geschieht, was du tust, denkst und fühlst, passiert in diesem Moment. Nicht morgen, nicht gestern. Sondern jetzt gerade.
Die Frage stellt sich also weniger, wie du im Moment, im Hier und Jetzt leben kannst, sondern womit du dieses Hier und Jetzt füllst und was du in diesem Moment wahrnimmst. Nimmst du all das wahr, was jetzt gerade passiert und was du alles hast? Oder nimmst du deine Gedanken wahr, die dir erzählen, dass noch so viel fehlt, du noch nicht gut genug bist, du das sowieso nicht schaffen wirst. Siehst du die Fülle oder den Mangel?
Das Leben bleibt nicht stehen, nur weil wir nicht mehr jagen. Ganz im Gegenteil. Leben möchte sich entwickeln und entfalten. Das tut es am besten mit uns und durch uns. Verändern wir den Blickwinkel von „das fehlt noch“ zu „das ist bereits alles da“, verändert sich unsere gesamte Welt. Wir sehen den Reichtum, der vor uns liegt, die Fülle, das Wunder, das hier und jetzt bereits da ist. Wir sehen die Schönheit, die Pracht, die Vollkommenheit, die Einzigartigkeit, alles was das Leben zu bieten hat. Hier und Jetzt.
Und einen anderen Moment – den gibt es nicht.
Ich bin Yoga- und ZEN- Lehrerin und erlebe dies alles. In die Vergangenheit gehe ich nicht mehr zurück.
Das freut mich sehr für dich ❤️
Alles Liebe
Silvia