Business Coach, Silvia Chytil

In den letzten Wochen hielt ich ein Webinar zum Thema Stress. Also eigentlich war der Titel „Leben im Schritt-Tempo. Wie schaffe ich es, mir das ‚Urlaubsgefühl‘ auch im Alltag zu erhalten?“

Denn die Frage, wie wir im Alltag ruhig und gelassen sein können, beschäftigt mich seit Jahren. Früher dachte ich, dass Stress-Management die Lösung wäre. Keine schlechte Überlegung, denn immerhin managen wir heutzutage so ziemlich alles. Früher hieß es Hausmeister, heute Facility-Manager. Früher gab es die Sekretärin, heute gibt es die Office-Managerin. Es gibt auch nicht mehr den Verkäufer, der heißt jetzt Sales Manager. Die Kundenbetreuerin ist eine Account-Managerin und der Risk Manager war früher ein besserer Buchhalter. Ein wenig wundert es mich ja, dass es noch Kindergärtnerin heißt und nicht Child-Managerin.

Dass Stress managen aber nicht wirklich hilft, davon können wir wohl alle ein Lied singen. Zumal wir auf einige Marketing-Gags unseres Verstandes zum Opfer gefallen sind.

Hier beschreibe ich 4 davon:

  • Gestresste Menschen sind wichtige Menschen

Viele Menschen haben ein geschickt inszeniertes Bild vor Augen. Menschen laufen hektisch herum, hetzen von einem Meeting zum nächsten, haben kaum Zeit für etwas anderes. Aber dann – am Abend – steigen sie in ein 100.000 Euro Auto, fahren in ihre 1 Million Euro Villa, wo sie das Kindermädchen begrüßt. Im Hintergrund sieht man ein perfektes Kind spielen, aber natürlich erst, nachdem es seine Aufgaben gemacht hat, dass es von der exklusiven 50.000 Euro Schule erhalten hat. Meistens stehen diese Menschen um 4 Uhr in der Früh auf, checken ihre ersten E-Mails, lassen sich von ihrem Personal Fitness-Trainer fit für den Tag machen, nehmen ein (von der Köchin zubereitetes) super-gesundes Frühstück ein und der Tag endet erst nach einem wichtigen Geschäftsessen irgendwann spät in der Nacht.

Marketing-Gag: Stress zahlt sich aus.

Absurderweise ist Stress tatsächlich zu einem Prestige-Objekt geworden. Gestresste Menschen sind Menschen, die viel zu tun haben. Und Menschen, die viel zu tun haben, erreichen viel. Und haben sie viel erreicht, dann haben sie viel und sind wichtig. Was zum Umkehrschluss führt, dass Menschen, die nicht gestresst sind, nicht viel erreichen, nicht besonders wichtig sind, keine Verantwortung tragen und keine wichtigen Entscheidungen treffen müssen. Und infolgedessen keinen Wert haben.

Diese Lebensweise folgt dem Prinzip: Werden – Haben – Sein.

Du wirst etwas, dann hast du etwas, dann bist du etwas.

Du kennst vielleicht die Geschichte vom jungen Consultant und dem Fischer. Der Fischer sitzt bereits am Vormittag, nach getaner Arbeit, in seinem Sessel und genießt den Tag. Der Consultant ist verwundert darüber und möchte dem Fischer schmackhaft machen, noch weitere Boote zu kaufen, damit er noch mehr Fische fangen kann. Auf die Frage, was denn der Fischer davon hätte, meinte der Berater: Sie könnten sich dann zur Ruhe setzen und den Tag genießen.

Dieser perfekte Marketing-Gag macht uns glauben, dass wir erst etwas sind, wenn wir etwas haben. Fallen wir darauf rein, dann ergibt es natürlich Sinn, sehr viel zu tun, um seinen eigenen Wert zu steigern.

  • Mit Stress bin ich leistungsfähiger

Wenn wir gestresst sind, setzt der Körper zusätzliche Energien frei, die wir primär zum Flüchten oder Angreifen benötigen. Was uns natürlich in einen aktiven Modus versetzt, denn die Energie muss aus uns wieder hinausfließen. Das kann dazu führen, dass wir in kürzester Zeit Dinge erledigen, für die wir uns vorher nicht aufraffen konnten.

Marketing-Gag: Stress macht aktiv

Was zwar auf den ersten Blick logisch erscheint, verliert auf den zweiten Blick jedoch seinen Wahrheitsgehalt. Denn auch wenn wir kurzfristig mehr Energien haben und vielleicht tatsächlich ins Tun kommen, wird dieses Handeln hauptsächlich von Angst getrieben. Denn Stress entsteht, wenn wir Angst haben. Und um dieses Gefühl der Angst loszuwerden, verfallen wir in Aktionismus. Was uns in eine gefährliche Spirale bringt. Wir handeln nicht mehr, weil wir „wollen“, sondern weil wir müssen und sollen. Wir müssen was tun, damit … . Wir sollen was tun, weil … .

Der Antrieb kommt dann nicht aus einem Gefühl der Begeisterung und der Freude heraus, sondern aus einem Gefühl der Unzulänglichkeit.

Das Problem bei diesem Marketing-Gag ist, dass wir zwar viel tun, vielleicht auch materielle Dinge erreichen, nie aber das Gefühl von inneren Frieden, innerer Ruhe und Selbstwert erhalten. Sondern immer nur damit beschäftigt sind, Stress und Angst abzubauen.

  • Ohne Stress erreiche ich nichts mehr

Wir alle haben die Bilder von meditativen Gurus vor uns. Sie begrüßen den ganzen Tag die Sonne, sitzen regungslos mit überschlagenen Beinen auf einem Hügel, haben einen leicht verklärten Gesichtsausdruck und bewegen sich im Schnecken-Tempo durch die Welt. Sie sind so entspannt, dass es nichts mehr gibt, was sie aufregt oder ärgert und somit auch nichts mehr, was sie verändern, verbessern oder erreichen wollen.

Marketing-Gag: Entspannung führt zu Wunschlosigkeit

Irgendwie hat sich die Welt durch dieses Bild in zwei Lager geteilt. Die spirituellen Menschen, die verklärt allen weltlichen Dingen entsagen und nur noch in den Tag hineinleben. Und die anderen, die zwar hin und wieder meditieren und Yoga betreiben, wenn es aber ums Business oder Job geht, dann hat Tiefenentspannung keinen Platz. Denn da wollen sie etwas erreichen und werden.

Aber auch hinter diesem Antrieb steckt Angst. Angst nichts mehr zu tun und vor allem nichts mehr zu wollen. Als ob Entspannung zur kompletten Willenlosigkeit führen würde. Was natürlich nicht der Fall ist.

  • Ohne Stress lebe ich nur in den Tag hinein

Einen ganzen Tag faul herumliegen und zum Serienjunkie verkommen, wie herrlich kann sich das anfühlen. Vielleicht geht auch noch ein zweiter Tag, aber dann ist es gut, dass Stress und Druck entstehen, sonst würden wir womöglich nie wieder aus unserem gemütlichen Dasein herausfinden. Denn immerhin gibt es den Schweine-Hund täglich zu bekämpfen, weil wir uns sonst zu gar nichts mehr aufraffen würden.

Marketing-Gag: Entspannung führt zu Lahmarschigkeit

Vielfach höre ich in meinen Coachings die Bedenken „Wenn ich nachlasse, dann habe ich das Gefühl nie mehr aufzustehen.“

Wenn wir diesem Aberglauben zum Opfer fallen, dann ist es natürlich sinnvoll, immer wieder Stress zu produzieren, damit wir nicht irgendwann mit der Couch verschmelzen.

Nichts-Tun führt bei den meisten Menschen zu schlechtem Gewissen. Als ich klein war und einfach nur faul herumlag, fragte mich mein Vater oft, ob ich denn nichts zu tun hätte. Natürlich lernte ich dann sehr rasch, dass „nichts tun“ faul sein bedeutet und dass sich das nicht gehört.

Insofern führt „Nichts-tun“ bereits zu Stress. Denn anstatt einfach nur zu entspannen, und das auch zu genießen und Kraft zu tanken, baut sich in uns wieder Energie auf. Also springen wir auf und tun irgendwas. Aber weniger, weil es tatsächlich etwas zu tun gibt, sondern um den Druck abzubauen, den wir uns gerade selbst aufgebaut haben.

Diese 4 Marketing-Gags (und wahrscheinlich gibt es noch viel mehr) haben sich in unserer Leistungs-Gesellschaft so sehr etabliert, dass wir sie gar nicht mehr erkennen. Wir tappen hilflos in diese Fallen und hoffen, dass uns irgendwelche Stress-Management-Strategien den Weg aus diesem Labyrinth zeigen. Was, wenn überhaupt, immer nur kurzfristigen Erfolg hat.

Zielführender ist es, diese falschen Annahmen bei sich selbst zu erkennen. In welche Falle tappst du? Welchem Marketing-Gag schenkst du noch Glauben? Was würdest du tun und wie würdest du dich verhalten, wenn deine Annahme über Stress und Entspannung falsch ist?

Stress löst sich nicht auf, wenn wir versuchen, ihn zu managen. Stressfrei sind wir, wenn wir diesen erst gar nicht produzieren und das wird möglich, sobald wir eine neue Sichtweise auf Stress erhalten.

Alles Liebe

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