Stress bewältigen: Die klügste Frage in schwierigen Momenten
„Ich bin schlecht in dem, was ich tue.“
Dieser Satz verfolgte mich jahrelang. Im Job, in Beziehungen, in jedem wichtigen Gespräch. Er war wie ein Soundtrack, der im Hintergrund lief und jeden kleinen Fehler zu einem Beweis meiner Unfähigkeit machte.
Bis ich ihn eines Tages mit Byron Katies „The Work“ hinterfragte. Die dritte Umkehrung hat mir die Augen geöffnet: „Ich bin schlecht zu mir selbst.“
Ich habe erkannt: Das Problem war nicht, dass ich schlecht war. Das Problem war, wie ich mit mir umging – dass ich schlecht zu mir selbst war. Und daraus entstand eine Frage, die ich mir seitdem immer wieder stelle, sobald es bei mir schwierig wird:
„Was ist das Beste, was ich jetzt tun kann?“
„Das Problem war nicht, dass ich schlecht war. Das Problem war, wie ich mit mir umging – dass ich schlecht zu mir selbst war.“
Warum unser Verstand auf Mangel programmiert ist
Nur … warum denken wir überhaupt so schlecht über uns? Warum ist dieser innere Kritiker so hartnäckig und lässt uns nicht von der Leine?
Unser Gehirn ist ein Überlebenskünstler. Evolutionär gesehen hat es uns am Leben gehalten, indem es ständig nach Gefahren gesucht hat.
Dieser „Negativity Bias“ sorgt dafür, dass wir automatisch fokussieren, was nicht stimmt, was fehlt, was schiefgehen könnte. Was früher überlebenswichtig war, wird heute zu unserem größten Hindernis.
Als ich das erste Mal davon gelesen habe, war das wie ein Aha-Moment: Kein Wunder, dass mein Kopf ständig nach Problemen suchte!
Verstärkt wird dieses Verhalten durch unser Bildungssystem. Schon als Kinder lernen wir: Rote Markierungen im Text zählen mehr als richtige Antworten. Fehler werden betont, Erfolge als selbstverständlich abgetan. „Du könntest eine Eins haben, wenn du nicht so viele Flüchtigkeitsfehler gemacht hättest.“ Klingt vertraut?
Diese Konditionierung prägt uns fürs Leben. In meiner Arbeit mit Kunden erlebe ich immer wieder, wie tief diese Muster sitzen. Selbst erfolgreiche Führungskräfte erzählen mir: „Ich weiß eigentlich, dass ich gut bin, aber …“ Und dann kommt die ganze Liste der Selbstzweifel.
Anstatt zu fragen: „Was ist möglich? Was läuft gut? Was kann ich daraus lernen?“ entwickeln wir einen inneren Kritiker, der unablässig scannt: Was läuft schief? Was ist nicht gut genug? Was könnte passieren?
Das Ergebnis: Wir leben in einem chronischen Zustand von Mangel und Selbstzweifel. Selbst erfolgreiche Menschen leiden unter diesem Mechanismus. Sie haben nur gelernt, trotz ihrer inneren kritischen Stimme zu funktionieren. Aber zu welchem Preis?
Das Heimtückische: Je öfter wir diese Gedanken denken, desto wahrer fühlen sie sich an. Bis wir irgendwann überzeugt sind: „Ich bin wirklich schlecht in dem, was ich tue.“
„Ich war vom Richter über mein ganzes Leben zum Ratgeber für diesen einen Moment geworden.“
Vom Richter zum Berater
Genau in so einem Moment war ich an einem Dienstagnachmittag gefangen, als ich mir zum ersten Mal diese eine Frage gestellt habe. Ich saß vor meinem Laptop, völlig blockiert von einem Projekt, das ich für unmöglich hielt. Mein innerer Kritiker lief auf Hochtouren: „Das schaffst du nie. Du bist zu langsam. Die anderen hätten das längst fertig.“
Dann hielt ich inne und erinnerte mich an die Frage, die mir damals bei „The Work“ kam: „Was ist das Beste, was ich jetzt tun kann?“
Die Antwort kam sofort: Erst mal einen Kaffee trinken und dich auf die Terrasse setzen.
Das war alles. Kein großer Plan. Kein Durchbruch. Nur ein simpler nächster Schritt.
Aber etwas Fundamentales hatte sich verändert. Ich war vom Richter über mein ganzes Leben zum Ratgeber für diesen einen Moment geworden.
Warum diese Frage so viel verändert
„Was ist das Beste, was ich jetzt tun kann?“ ist deshalb so kraftvoll, weil sie auf drei Ebenen gleichzeitig wirkt – in deinem Denken, deinem Spüren und deinem Handeln:
Verstehen: Von Pauschalisierung zu Präzision
Anstatt „Ich bin schlecht“ (ein pauschales Urteil über deine gesamte Person) fragst du: „Was ist jetzt, in dieser konkreten Situation, das Beste für mich?“
Das ist situative Intelligenz. Was das Beste ist, hängt völlig vom Kontext ab.
Im stressigen Meeting ist das Beste vielleicht, einmal tief durchzuatmen.
Bei der wichtigen Entscheidung ist das Beste vielleicht, noch eine Nacht darüber zu schlafen.
Am Ende eines anstrengenden Tages ist das Beste vielleicht, früh ins Bett zu gehen, statt noch drei Stunden zu arbeiten.
Die Frage hilft dir zu verstehen, was jetzt gerade wirklich wichtig ist und weitet deinen Blick für Möglichkeiten und Alternativen.
Vertrauen: Von Reaktion zu bewusster Wahl
Stress aktiviert deinen Reptilienverstand: Fight, Flight oder Freeze. In diesem Zustand reagierst du automatisch – oft genug nicht in deinem besten Interesse.
Die Frage durchbricht diesen Automatismus. Sie zwingt dich, innezuhalten. Als ich zum ersten Mal Viktor Frankls Worte las – „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zu wählen“ – verstand ich endlich, was da passiert war.
Denn die Frage schafft genau diesen Raum. Sie lädt dich ein, dich in die Situation hineinzuspüren: Wie fühlst du dich gerade? Was brauchst du wirklich? Was würde der Situation am meisten dienen?
Das ist tiefes Vertrauen in deine innere Weisheit. Vertrauen darin, dass du die Antwort bereits in dir trägst – wenn du nur innehältst und hinhörst.
Verbinden: Von Zukunftsangst zur Gegenwartskraft
Hier liegt die vielleicht größte Kraft dieser Frage: Sie hat kein Endergebnis im Kopf. Sie fragt nicht: „Was führt zum besten Ergebnis?“ oder „Was maximiert meinen Erfolg?“ Sie fragt einfach: „Was ist jetzt das Beste?“
Das befreit dich von der Tyrannei des Optimierens. Du musst nicht die perfekte Entscheidung treffen, die zu den besten Ergebnissen führt. Du musst nur das Beste tun, was jetzt möglich ist.
Diese Haltung verbindet dich authentisch mit dem gegenwärtigen Moment, mit dir selbst und mit anderen. Du wirkst von innen nach außen – nicht aus Angst oder Druck, sondern aus echter Präsenz.
Die Frage in Aktion
Aber genug Theorie. Wie sieht das in der Praxis aus? In meinen Coaching-Sessions erlebe ich täglich, wie kraftvoll diese eine Frage wirken kann.
Letzte Woche erzählte mir eine Kundin von einem schwierigen Gespräch mit ihrem Chef. Sie war frustriert, er schien unzufrieden, die Stimmung war angespannt. Ihr Automatismus schrie: „Verteidig dich! Erkläre ihm, warum er falsch liegt!“
Dann erinnerte sie sich an unsere Arbeit und stellte sich die Frage: „Was ist das Beste, was ich jetzt tun kann?“
Die Antwort kam sofort: Zuhören. Wirklich zuhören.
Sie atmete durch, lehnte sich zurück und sagte: „Erzähl mir mehr darüber, was dich frustriert.“
Was folgte, war kein Angriff, sondern ein Mensch, der sich endlich verstanden fühlte. Sein Ärger verwandelte sich in konstruktive Kritik. Aus einem Konflikt wurde ein Gespräch. Aus einem Problem eine Chance zur Verbesserung.
Das hätte nie funktioniert, wenn sie ihrem ersten Impuls gefolgt wäre. Aber diese eine Frage hatte einen Raum geschaffen, in dem etwas Neues entstehen konnte.
„Wenn wir aufhören, das Ergebnis kontrollieren zu wollen, und uns darauf fokussieren, jetzt das Beste zu tun, entstehen genau die Lösungen, nach denen wir eigentlich gesucht haben.“
Das Paradox der Ergebnisse
Das Faszinierende: Wenn du aufhörst, das Ergebnis kontrollieren zu wollen, und dich darauf fokussierst, jetzt das Beste zu tun, entstehen genau die Lösungen, nach denen du eigentlich gesucht hast.
Probleme, die unmöglich scheinen, lösen sich Schritt für Schritt.
Gespräche, vor denen du Angst hast, werden zu wertvollen Verbindungen.
Entscheidungen, die dich lähmten, werden zu natürlichen nächsten Schritten.
Warum? Weil du nicht irgendetwas erzwingen willst.
Weil du nicht versuchst, zehn Schritte vorauszudenken. Weil du einfach präsent bist und aus dieser Präsenz heraus handelst.
Der nächste beste Schritt
„Was ist das Beste, was ich jetzt tun kann?“ ist mehr als eine Frage. Es ist eine Haltung. Eine Art, durchs Leben zu gehen, die dich sanfter zu dir selbst und gleichzeitig kraftvoller in deinem Handeln macht.
Sie macht aus der gestressten Managerin, die sich selbst fertigmacht, einen Menschen, der sich in jeder Situation fragt: Was ist jetzt am hilfreichsten?
Sie macht aus der perfektionistischen Unternehmerin, die vor lauter Zukunftsangst gelähmt ist, eine Frau, die einen Schritt nach dem anderen geht.
Sie macht aus der selbstzweifelnden Selbstständigen, die sich für jeden Fehler verurteilt, jemanden, der aus jedem Moment lernt und wächst.
Das nächste Mal, wenn du gestresst bist, zweifelst oder nicht weißt, was zu tun ist – halte inne. Atme einmal tief durch. Und frage dich:
„Was ist das Beste, was ich jetzt tun kann?“
Dann vertraue der Antwort, die kommt. Sie weiß mehr, als dein Verstand glaubt.
Und vielleicht, nur vielleicht, wirst du feststellen: Du warst nie schlecht in dem, was du tust. Du warst nur schlecht zu dir selbst. Aber das kannst du jetzt ändern. Einen Moment nach dem anderen.