SMART Methode: Warum moderne Zielsetzung mehr braucht
Es war ein kalter Dienstagmorgen, als Susanne mir gegenüber saß und frustriert ihre Jahresplanung auf meinen Schreibtisch legte. „Ich verstehe es einfach nicht“, seufzte sie. „Ich habe alles richtig gemacht. Jedes einzelne Ziel ist SMART formuliert. Und trotzdem…“ Ihre Stimme verlor sich, während sie auf die säuberlich ausgearbeiteten Pläne starrte.
Diese Szene wiederholt sich in meinem Coaching-Alltag erstaunlich häufig. Ambitionierte Menschen wie Susanne kommen zu mir, bewaffnet mit durchdachten Zielen, die allen Regeln der erfolgreichen Zielsetzung folgen. Spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert – der vermeintliche Schlüssel zum Erfolg. Und dennoch bleiben die erhofften Erfolge oft aus.
Der perfekte Plan – und trotzdem fehlt etwas
Die SMART-Methode gilt seit Jahren als der Goldstandard erfolgreicher Zielsetzung. Spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert – wer diese Kriterien befolgt, so das Versprechen, hat den Schlüssel zum Erfolg in der Hand. Es ist ein verführerisches Konzept: Klare Regeln, die uns Sicherheit versprechen. Eine Formel, die komplexe Lebensentscheidungen in handhabbare Schritte zerlegt.
Susannes Ziele waren ein Paradebeispiel dieser Methode. „100.000 Euro Jahresumsatz bis zum 31. Dezember.“ „Zwanzig Neukunden im ersten Quartal.“ „Launch des Online-Programms bis März.“ Alles perfekt durchdacht, alles messbar, alles terminiert. Und dennoch spürte sie diese nagende Unruhe, dieses unterschwellige Gefühl, dass etwas Wesentliches fehlte.
Was niemand offen ausspricht: Die SMART-Methode, so hilfreich sie auf den ersten Blick erscheint, führt uns in drei gefährliche Fallen. Fallen, die uns nicht nur von unseren wahren Zielen ablenken, sondern uns auch den Weg zu echtem, erfüllendem Erfolg versperren.
Falle #1: Die 90/10-Illusion
Die erste und vielleicht folgenschwerste Falle ist die Illusion, dass erfolgreiche Zielsetzung hauptsächlich eine Frage der richtigen Technik sei. Was niemand in den gängigen Management-Büchern schreibt: Zielerreichung ist zu 90 Prozent innere und nur zu 10 Prozent äußere Arbeit.
Die SMART-Methode konzentriert sich ausschließlich auf die äußeren 10 Prozent. Sie ist wie ein hochmodernes Navigationsgerät, das zwar den effizientesten Weg berechnen kann, aber keine Ahnung hat, ob das eingegebene Ziel überhaupt das ist, was wir wirklich suchen.
Bei Susanne zeigte sich das in ihrem wichtigsten Ziel: „100.000 Euro Jahresumsatz bis zum 31. Dezember.“ Technisch perfekt formuliert, aber innerlich leer. Die entscheidenden 90 Prozent – ihre innere Ausrichtung, ihre wahren Motivationen, ihre tieferen Bedürfnisse – blieben völlig unberücksichtigt.
Falle #2: Die Wenn-Dann-Falle
Die zweite Falle ist besonders tückisch, weil sie sich so logisch anfühlt. „Wenn ich erst 100.000 Euro Umsatz mache, dann werde ich mich endlich frei und erfolgreich fühlen“, war Susannes unterschwellige Überzeugung. Diese Wenn-Dann-Denkweise ist ein gefährlicher Selbstbetrug.
Sie verschiebt unser Glück und unsere Zufriedenheit ständig in die Zukunft. Es ist, als würden wir einem Horizont hinterherlaufen – egal wie weit wir gehen, er bleibt immer gleich weit entfernt. Das wirklich Perfide daran: Selbst wenn wir unsere Ziele erreichen, stellt sich das versprochene Glücksgefühl oft nicht ein.
Ich erlebe regelmäßig Kund:innen, die ihre SMART-Ziele erreicht haben und sich trotzdem leer fühlen. Der ersehnte Glücksmoment bleibt aus, und schnell fokussieren sie sich auf das nächste, noch höhere Ziel. Es ist wie eine endlose Tretmühle, in der wir rennen und rennen, ohne jemals wirklich anzukommen.
Falle #3: Die Intuitions-Verdrängung
Die dritte Falle ist die systematische Unterdrückung unserer Intuition. Die SMART-Methode suggeriert, dass erfolgreiche Zielsetzung eine rein rationale Angelegenheit sei. Dabei zeigt die moderne Neurowissenschaft: Unsere Intuition ist kein esoterisches Konzept, sondern ein hochentwickelter Entscheidungsmechanismus.
Diese innere Weisheit, eine Kombination aus jahrelanger Erfahrung, unterbewusster Mustererkennung und einem tieferen Wissen, wird von der SMART-Methode komplett ignoriert. Es ist, als würden wir mit verbundenen Augen durch einen Raum gehen, nur weil jemand uns gesagt hat, dass es wissenschaftlicher sei, sich ausschließlich auf den Tastsinn zu verlassen.
Susanne spürte diese Diskrepanz deutlich. Ihr Verstand sagte ihr, dass ihre Ziele perfekt formuliert waren, aber ihr Bauchgefühl signalisierte konstant, dass etwas nicht stimmte. Die SMART-Methode bot ihr keine Möglichkeit, diese wichtigen inneren Signale zu integrieren.
Die Kunst der modernen Zielsetzung
Der Ausweg aus diesen Fallen liegt in einem fundamental neuen Ansatz der Zielsetzung. Als Susanne begann, auf ihre innere Stimme zu hören, veränderte sich alles. In unseren Gesprächen wurde klar: Es ging ihr gar nicht primär ums Geld. Was sie eigentlich suchte, war die Gewissheit, ihrer Familie ein stabiles Fundament zu bieten, ohne dabei ihre Freiheit zu opfern.
Diese Erkenntnis führte zu einer kompletten Neuausrichtung. Statt sich blindlings auf Umsatzzahlen zu fokussieren, entwickelten wir ihre Ziele von innen nach außen. Die SMART-Kriterien wurden von Herrschern zu Dienern – Werkzeuge, die unterstützen, nicht Regeln, die einschränken.
Von SMART zu weise – ein neuer Ansatz
Echte Zielsetzung beginnt mit innerer Klarheit. Das bedeutet nicht, dass wir die SMART-Kriterien komplett über Bord werfen müssen. Im Gegenteil: Wenn wir sie richtig einsetzen, können sie wertvolle Dienste leisten. Der Schlüssel liegt in der Integration von rationaler Planung und intuitiver Weisheit.
In meiner Coaching-Praxis haben sich zwei besonders effektive Ansätze herauskristallisiert, die zeigen, wie diese Integration in der Praxis funktioniert:
- Der „Resonanz-Check“: Eine Führungskraft in der IT-Branche kam mit einem klassischen SMART-Ziel zu mir: „Drei neue Großkunden innerhalb von sechs Monaten akquirieren.“ Technisch perfekt formuliert. Doch statt direkt in die Umsetzung zu gehen, hielten wir inne. Wir untersuchten, wie sich dieses Ziel anfühlte, welche Bilder und Geschichten auftauchten. In diesem Prozess wurde eine tiefere Wahrheit sichtbar: Ihr eigentliches Ziel war nicht die reine Kundengewinnung, sondern der Aufbau langfristiger, wertschöpfender Partnerschaften.
Das führte zu einer Neuformulierung: „Aufbau von drei strategischen Partnerschaften mit innovativen Mittelständlern bis Ende Q4, die unsere Expertise optimal ergänzen.“ Das Ziel blieb SMART, gewann aber eine neue Dimension von Sinn und Bedeutung.
- Die „Wegqualität-Integration“: Eine Coaching-Kundin plante den Launch ihres Online-Programms – „in drei Monaten live gehen“ war ihr SMART-Ziel. Ein klassischer Fall der Wenn-Dann-Falle: Wenn das Programm erst live ist, dann wird alles gut. In unserer Arbeit öffneten wir den Blick für die Qualität des Weges: Wie wollte sie sich während der Entwicklungsphase fühlen? Welche Art von Energie wollte sie in das Projekt einbringen?
Das führte zu einer erweiterten Vision: „Entwicklung eines Online-Programms bis März, das meine Begeisterung für transformatives Lernen widerspiegelt, mit wöchentlichen Kreativpausen für Reflexion und Inspiration.“ Die technischen Aspekte blieben bestehen, wurden aber eingebettet in einen größeren Kontext von Sinn und persönlichem Wachstum.
Diese Beispiele zeigen: Moderne Zielsetzung ist ein Tanz zwischen Struktur und Intuition, zwischen äußeren Zielen und innerer Weisheit, zwischen innerer Arbeit und pragmatischer Umsetzung. Sie verbindet die Klarheit der SMART-Methode mit der Tiefe persönlicher Bedeutsamkeit.
Moderne Zielsetzung bedeutet, einen harmonischen Dreiklang zu schaffen:
- Die innere Arbeit ernst nehmen und ihr den nötigen Raum geben
- Die Weisheit der Intuition als gleichberechtigten Partner akzeptieren
- Den Weg zum Ziel als ebenso wichtig betrachten wie das Ziel selbst
Die wahre Kunst der Zielsetzung
Als Susanne sechs Monate später wieder in meinem Büro saß, strahlte sie eine ganz neue Art von Erfolg aus. Ihr Umsatz lag bei 60.000 Euro – weit unter dem ursprünglichen Ziel. Aber zum ersten Mal seit langem fühlte sie sich wirklich erfolgreich. „Weißt du“, sagte sie, „ich habe verstanden, dass es nicht darum geht, perfekte Ziele zu formulieren. Es geht darum, den richtigen Weg zu finden – meinen eigenen Weg.“
In dieser einfachen Erkenntnis liegt die wahre Kunst der Zielsetzung: die Verbindung von Intellekt und Intuition, von äußeren Zielen und innerer Weisheit. Wenn wir aufhören, uns ausschließlich auf die technische Perfektion unserer Ziele zu konzentrieren, und anfangen, auf die leisen Stimmen unserer inneren Führung zu hören, öffnet sich ein neuer Weg.
Diese Art der Zielsetzung erfordert Mut. Den Mut, über die SMART-Formel hinauszuwachsen. Den Mut, uns selbst die wichtigsten Fragen zu stellen: Was will ich wirklich? Wie möchte ich mich auf dem Weg zum Ziel fühlen? Welchem größeren Zweck dient mein Streben?
Die wahre Kunst besteht darin, einen harmonischen Dreiklang zu schaffen – aus klarem Verstand, fühlender Intuition und tieferem Sinn. Es geht darum, Ziele zu entwickeln, die nicht nur auf dem Papier smart aussehen, sondern die uns mit jedem Schritt wachsen lassen. Die uns nicht nur zum Erfolg führen, sondern uns auch auf dem Weg dorthin bereits erfüllen.
Wie steht es um deine Erfahrungen mit Zielsetzungen? Hast du auch schon erlebt, dass trotz SMARTer Ziele etwas gefehlt hat?
Hinterlasse gerne einen Kommentar. Deine Geschichten, Erfahrungen und Erkenntnisse sind sicher auch für andere interessant und hilfreich!